Fatales Signal für Fanrechte – Mittelalterliche Sippenhaft des DFB bleibt erneut unangetastet

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem heutigen Urteil die aktuelle Sportgerichtsbarkeit des DFB bestätigt. Dagegen geklagt hatte der Verein FC Carl Zeiss Jena, da sich dieser aus seiner Sicht zu Unrecht mit einer Strafzahlung wegen des Einsatzes von Pyrotechnik durch seine Fans bestraft sah. Der Dachverband der Fanhilfen e. V. sieht in diesem Urteil ein fatales Signal für Fanrechte.

„Die vom DFB-Sportgericht verhängten Kollektivstrafen gegen Fans und Vereine widersprechen zutiefst dem Grundsatz der demokratischen Rechtsprechung. Nur wem eine konkrete Tat nachgewiesen wird, kann dafür strafrechtlich belangt werden. Dass der BGH dies bei seinem Urteil völlig außer Acht lässt und damit auch die unverhältnismäßige Weitergabe der Verbandsstrafen auf einzelne Fußballfans billigt, können wir nicht nachvollziehen. Gerade die oftmals jungen Fans werden dadurch doppelt bestraft, da einzelne Personen in der Regel nach solchen Vorfällen strafrechtlich verfolgt werden. Hinzu kommen nun die erwarteten Umlagen dieser Kollektivstrafen auf die aktiven Fanszenen. Diese Zustände sind eines Rechtsstaats unwürdig und hätten dringend vom BGH korrigiert werden müssen“, erklärt Danny Graupner vom Dachverband der Fanhilfen e. V.

Im konkreten Fall wurde der FC Carl Zeiss Jena vom DFB-Sportgericht nach angeblichem Fehlverhalten seiner Fans zu einer Strafzahlung in Höhe von 24.900 Euro verurteilt. Gegen diese Entscheidung klagte der Verein und begründete dies damit, dass die Sportgerichtsbarkeit gegen die öffentliche Ordnung verstoße.

„Gerichtsentscheidungen des DFB zu Vorfällen im Stadion beruhen immer darauf, dass einer größeren Personengruppe ein angebliches Fehlverhalten vorgeworfen wird. Die dafür verhängte Strafe wird in der Regel im Anschluss von den Vereinen an wenige Personen weitergegeben. Das ist Sippenhaft, wie wir sie nur aus dem Mittelalter kennen und zeigt eindeutig, dass das Verteilen von Kollektivstrafen mit der Gießkanne unverhältnismäßig ist. Zehntausende Euro sind für einzelne Personen nicht bezahlbar, für Vereine oftmals aber ein minimaler Posten in ihren millionenschweren Etas. Diese Praxis der Umlage von Kollektivstrafen auf einzelne Fans muss dringend beendet werden“, erläutert Danny Graupner abschließend.

Hannover, 04. November 2021

Fanhilfen beschließen Forderungen zur Bundestagswahl

Vor der Bundestagswahl fordern die Fanhilfen von einer neuen Bundesregierung einen deutlichen Kurswechsel in Bezug auf Fan- und Freiheitsrechte. Im Rahmen der Mitgliederversammlung des Dachverbands der Fanhilfen e. V. wurde ein Beschlusspapier verabschiedet, welches drei Forderungen für ein entsprechendes Sofortprogramm beinhaltet.

„Nach der Regierungsbildung im Bund gilt es keine Zeit zu verlieren. Denn das Ansehen des Rechtsstaats hat in den vergangenen Jahren massiv gelitten. Daher muss eine neue Bundesregierung zeitnah entsprechende Maßnahmen ergreifen, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Dazu zählt ganz konkret die undurchsichtige und stigmatisierende Speicherung von Fußballfans in Polizeidatenbanken zu beenden. Ebenso muss schnellstmöglich eine allgemeingültige Kennzeichnungspflicht bei der Bundespolizei eingeführt werden, denn polizeiliches Fehlverhalten muss im Zweifel individuell juristisch verfolgbar sein. Darüber hinaus braucht es eine wirklich unabhängige Stelle zur Aufklärung von Polizeigewalt. Wir erwarten daher, dass diese Punkte als Sofortmaßnahmen nach Regierungsantritt umgesetzt werden. Entsprechende Konzepte liegen schon seit Jahren auf dem Tisch. Jetzt gilt es zu handeln! Der Status quo ist nicht länger haltbar“, erklärt Linda Röttig, wiedergewähltes Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen e. V.

Auf der Mitgliederversammlung wurde der bisherige Vorstand durch die Mitglieder im Amt bestätigt. Weitere Themen waren die Restriktionen gegenüber Fußballfans im Rahmen der Pandemiebekämpfung sowie die kürzlich beschlossenen Gesetzesverschärfungen auf Bundesebene.

„Auch in den kommenden Jahren werden wir sehr genau im Blick haben, wie sich die Situation von Fanrechten auf der Bundesebene entwickelt. Denn neben den genannten Punkten gibt es weitere Themen wie die ausufernde Videoüberwachung und Speicherpraxis von Kommunikationsdaten, bei denen wir dringend Handlungsbedarf sehen, da von diesen Maßnahmen Fußballfans in besonderer Weise betroffen sind. Daher werden wir auch weiterhin unsere Stimme deutlich erheben und Verbesserungen einfordern. Und neben den klaren inhaltlichen Forderungen rufen wir alle Fußballfans dazu auf, sich an der Wahl am 26. September zu beteiligen. Denn nur wer mit wählt, kann auch mitbestimmen“, stellt Linda Röttig abschließend klar.

Populistische Forderung nach personalisierten Eintrittskarten ist und bleibt Unfug

Im Vorfeld der heute beginnenden Innenministerkonferenz wurde vom sächsischen Innenminister Wöller erneut die Forderung nach personalisierten Eintrittskarten in Fußballstadien erhoben. Nicht nur die Forderung an sich, sondern auch die dazu herangezogenen Argumente sind realitätsfremd.

„Die Forderung nach personalisierten Tickets für Fußballfans ist ein politischer Winkelzug, mit dem sich der massiv unter Druck stehende sächsische Innenminister Wöller versucht, Luft zu verschaffen. Aufgrund zahlreicher Skandale steht er politisch mit dem Rücken zur Wand und will mit dieser populistischen Forderung punkten. Mit der Realität haben seine in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen rein gar nichts zu tun. Daher erwarten wir, dass ihm auf der Innenministerkonferenz entschieden widersprochen wird“, erklärt Danny Graupner vom Dachverband der Fanhilfen e. V.

Der sächsische Innenminister hatte in einem Radiointerview die Auseinandersetzungen vor dem Stadion rund um das Aufstiegsspiel von Dynamo Dresden zum Anlass genommen, um erneut personalisierte Eintrittskarten für Fußballspiele zu fordern. Ebenso verwies er auf die im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie überall erfolgte Abgabe von persönlichen Daten.

„Sollten alle Grundrechtseinschränkungen aufgehoben werden, sobald die Pandemie keine grundlegende Gefahr mehr für die Bevölkerung darstellt, muss dies selbstverständlich auch für den Stadionbesuch gelten. Regeln der Pandemiebekämpfung, die dann extra für Fußballfans fortbestehen, darf es nicht geben. Ebenso haben personalisierte Tickets keinerlei Auswirkung auf die Sicherheitslage vor den Stadien. Der in diesem Zusammenhang dann gerade geäußerte Verweis auf Vorfälle vor dem Stadion ist somit an Absurdität nicht zu überbieten. Daher lehnen wir diese Forderungen grundlegend ab“, so Danny Graupner abschließend.

Regierungskoalition missachtet EGMR Urteil bei Novellierung des Bundespolizeigesetzes

Der Deutsche Bundestag wird am kommenden Donnerstag das neue Bundespolizeigesetz beschließen. Nicht vorgesehen ist dabei u. a. die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei, obwohl diese in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingefordert wird. Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert dies in aller Deutlichkeit und fordert mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit bei der Polizei.

„Den Polizeien in Deutschland spricht der Gesetzgeber schon jetzt besondere und weitgehende Befugnisse zu. Mit diesen Befugnissen gehen nach unserer Auffassung nicht nur Rechte, sondern vor allem Verantwortung einher. Dem demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung folgend, muss polizeiliche Arbeit jederzeit durch Gerichte kontrollierbar sein. Ohne eine individuelle Kennzeichnungspflicht ist dies nicht möglich. Das gilt insbesondere für sogenannte geschlossene Einheiten, wie sie etwa bei Fußballspielen eingesetzt werden. Bisher gemachte Erfahrungen bei der Kennzeichnung auf Landesebene sind durchweg positiv. Daher muss endlich eine individuelle Kennzeichnung für alle Einheiten der Bundespolizisten eingeführt werden. Die andauernde Missachtung eines entsprechenden Urteiles des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist in diesem Zusammenhang eine Bankrotterklärung für den Rechtsstaat“, erklärt Linda Röttig Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen.

In seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemängelt, „[…] dass der Einsatz behelmter Beamter ohne individuelle Kennzeichnung und die daraus resultierende Unfähigkeit von Augenzeugen und Opfern, die Beamten, die die gerügten Misshandlungen begangen haben sollen, zu identifizieren, geeignet war, die Effektivität der Ermittlungen von Anfang an zu behindern“ (EGMR 2017: 32). Eine Kennzeichnung in Form eines Namensschilds oder durch eine mehrstellige, einprägsame Nummernfolge ist demnach für die persönliche Identifizierung von Polizeibeamten grundlegend. Ebenso hielt das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2019 die Kennzeichnung als Eingriff in das Recht zur informationellen Selbstbestimmung der Beamten für gerechtfertigt. In den meisten Mitgliedsstaaten der EU ist die individuelle Kennzeichnungspflicht längst umgesetzt, ohne dass damit ein Anstieg ungerechtfertigter Anschuldigungen gegen Polizeibeamte verbunden gewesen wäre oder es gar zu persönlichen Übergriffen gekommen ist. Auch sind diesbezüglich bisher keinerlei Erfahrungen aus den Bundesländern mit schon existierender Kennzeichnungspflicht bekannt.

Linda Röttig erläutert abschließend: „Die Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht bei der Bundespolizei würde die Transparenz des Handelns und die Rechtsstaatlichkeit nachhaltig stärken. Ebenso fordern wir die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle an die sich Betroffene von Polizeigewalt wenden können. Ohne die Umsetzung dieser beiden Punkte wird es auch weiterhin keine zeitgemäße und im Interesse der Menschen arbeitende Bundespolizei geben können. Die von den politischen Entscheidungsträgern angekündigte Modernisierung des Bundespolizeigesetzes wäre somit die Tinte auf dem Papier nicht wert. Die persönliche Wahlentscheidung vieler Fans am 26. September wird sicherlich nicht nur durch dieses Thema beeinflusst werden, aber bestimmt auch.“

Weiterführende Literatur:

Bandau, Frank / Bothner, Fabio (2020) Die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte: Ein QCA-basierter Bundesländervergleich, In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft (1), Springer Verlag, Online: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s12286-020-00443-8.pdf

Deutscher Bundestag (2018) Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und -beamten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Ergänzungdes Sachstands WD 3 -3000 -008/11 vom 10. Februar 2011), Wissenschaftliche Dienste – Deutscher Bundestag, Online: https://www.bundestag.de/resource/blob/563722/a85970f9077cc8d213de48ea86de6da2/WD-3-105-18-pdf-data.pdf

Legal Tribune Online – LTO (2019) Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte verfassungsmäßig, Online: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-2c31-33-18-kennzeichnungspflicht-polizei-verfassungsgemaess/

Regler, Andreas (2016). Die Kennzeichnungspflicht geschlossener Polizeieinheiten. Eine Analyse der Situation in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der parteipolitischen Standpunkte, In: SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4), S. 49-61, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2016_4_F

Robbe, Patrizia (2011) Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und -beamten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Wissenschaftliche Dienste – Deutscher Bundestag, Online: https://www.bundestag.de/resource/blob/191806/74ebec119bb90fdcf3cd9acf18a3118b/kennzeichnungspflicht_polizei-data.pdf

Dachverband der Fanhilfen nimmt seine Arbeit auf

An zahlreichen Standorten sind in den vergangenen Jahren Fanhilfen entstanden, um Fußballfans bei juristischen Auseinandersetzungen zu unterstützen und Anti-Repressionsarbeit zu leisten. Ab heute gibt es für bundesweite Anliegen der Fanhilfen eine neue gemeinsame Struktur.

„Nach vielen Jahren des intensiven Austauschs und der konstruktiven Zusammenarbeit bündeln wir ab heute offiziell die Kräfte. Der Dachverband der Fanhilfen e. V. bildet von nun an eine übergreifende Struktur, um bundesweite Anliegen und Forderungen der einzelnen Standorte zu bündeln und diesen mit vereinten Kräften Gehör zu verschaffen. Die aktuellen Diskussionen rund um die Datei „Gewalttäter Sport“, die ausufernde Polizeigewalt im ganzen Land und die zunehmende Überwachung zeigen deutlich, wie dringend notwendig eine laute Stimme für den Schutz von Fanrechten ist. Dies gilt umso mehr in der jetzigen Zeit, in der keine Zuschauer in den Stadien sind und damit unter anderem eine wichtige Plattform fehlt, um seine Anliegen nach außen zu tragen. Zahlreiche Ereignisse in den vergangenen Monaten zeigen ebenso deutlich, dass die Repressionsorgane trotz Zuschauerausschluss nicht lockerlassen und Fußballfans weiterhin kriminalisiert werden, als wäre es das Normalste der Welt“, erläutert Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen.

Eine zentrale Aufgabe des Dachverbands besteht darin, die Öffentlichkeit über die fortschreitende Einschränkung von Fanrechten zu informieren und immer wieder deutlich zu machen, dass Fußballfans keine Versuchskaninchen von Innenministern und Polizeigewerkschaftern sein dürfen.

„Aktuell sind 19 Fanhilfen Mitglied im Dachverband. Wir sind sehr positiv gestimmt, dass in naher Zukunft viele weitere Standorte sich dieser neuen gemeinsamen Struktur anschließen und ihren großen Erfahrungsschatz aus der täglichen Arbeit mit einbringen werden. An fast allen Profi- und zahlreichen Amateurfußballstandorten gibt es mittlerweile engagierte Fans, die dem willkürlichen Treiben von Polizei und Staatsanwaltschaften nicht mehr tatenlos zuschauen. Sie unterstützen mit ihrer täglichen Arbeit selbstlos andere Fans, um sich gegen überzogene Strafen und nicht enden wollende Gängelungen durch die Sicherheitsbehörden zur Wehr zu setzen. Für diese Personen werden wir zukünftig ein Ansprechpartner sein und ihre Eindrücke und Erfahrungen in die Öffentlichkeit transportieren. Denn eins ist allen Beteiligten klar: Nur zusammen lässt sich etwas bewegen!“, fügt Linda Röttig abschließend hinzu.