Neufassung des Bundespolizeigesetzes ist Rückschritt statt Fortschritt

Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert den heute vom Bundeskabinett gefassten Beschluss zur Reform des Bundespolizeigesetzes. Mit der geplanten Neufassung soll die Polizei noch mehr Befugnisse erhalten, um Freiheitsrechte auch von Fußballfans einzuschränken.

Die Bundespolizei soll umfangreiche Befugnisse zur Telefonkommunikationsüberwachung, kurz TKÜ, erhalten, um private Telefongespräche, Chats und Handyapps zu überwachen. Dieser erhebliche Grundrechtseingriff ist bisher nur durch Anordnung eines Richters möglich. Nach der gesetzlichen Neuregelung soll diese Überwachungsmethode noch öfter und einfacher zum Einsatz kommen, womit die Zahl der Eingriffe in die Privatsphäre auch von Fußballfans, die ohnehin schon in nahezu jedem Stadion sowie auf An- und Abfahrtswegen durch Kameraüberwachung auf Schritt und Tritt verfolgt werden, zunehmen wird.

Statt den Fokus auf eine bürgernahe Polizei zu legen, die im Sinne aller handelt, werden erhebliche Grundrechtseingriffe wie verdachtsunabhängige Personenkontrollen weiter ausgebaut. Dazu gehört auch der im neuen Polizeigesetz gefasste Entschluss, Drohnen durch die Bundespolizei einzusetzen. Dieses datenschutzrechtlich höchst fragwüridge Einsatzmittel kommt bereits in den Landespolizeien massenhaft bei Fußballspielen zum Einsatz, was von den Datenschutzbeauftragten seit Anbeginn kritisiert wird. Noch mehr Drohnen führen nicht zu einer Deeskalation zwischen Polizei und Fans. Hier muss die Polizei abrüsten statt aufrüsten, um mit mehr Kommunikation und Freiräumen zu einer Befriedung der aktuellen Lage rund um die Stadien beizutragen.

Linda Röttig, Vorstand im Dachverband der Fanhilfen, betont: “Noch mehr Drohnen, Personenkontrollen, Aufenthaltsverbote, Meldeauflagen und Telefonüberwachungen führen nicht zu einer Deeskalation zwischen Polizei und Fans. Das diese neuen Maßnahmen im Gesetz ausdrücklich mit ihrer Anwendung gegen Fans begründet werden, lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Die Polizei muss hingegen abrüsten statt aufrüsten, um mit mehr Kommunikation und Freiräumen zu einer Befriedung des Konflikts beizutragen. Wasserwerfer, Drängelgitter und sogar Räumpanzer gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire der Polizei – selbst bei Fußballspielen in der 3. Liga. Fußballfans sind für viele Polizisten ein Feindbild. Körperverletzungen im Amt durch Polizisten und Übergriffe gegen Fans, etwa durch den Einsatz von Pfefferspray, sind ein großes Problem. Das haben die Ereignisse der vergangenen Monate eindeutig gezeigt. Anzeigen gegen die Polizei laufen meist ins Leere. Für all diese aktuellen Probleme hätte die Bundesregierung Lösungen vorlegen müssen. Wir fordern die Abgeordneten im Deutschen Bundestag dazu auf, den Gesetzentwurf in diesem Sinne umfangreich zu ändern. Das einzige positive Signal dieser Gesetzesreform ist die Einführung einer Kennzeichnungspflicht bei der Bundespolizei.”

Fehlstart für die Fanrechte

Der Dachverband der Fanhilfen hat sich heute für sein jährliches bundesweites Treffen in Dresden zusammengefunden. Neu zum Dachverband hinzugekommen sind die Fanhilfen vom 1. FC Köln und dem Hamburger SV. Damit sind mittlerweile 24 Fanhilfen im bundesweiten Dachverband organisiert. Die Fanhilfen haben ein erstes Resümee nach dem Start der neuen Saison gezogen und blicken mit Unverständnis auf die zunehmende Repression gegen Fußballfans.

„Die Liste der überzogenen Polizeieinsätze gegen Fußballfans ist lang, obwohl die Saison noch nicht alt ist. Großangelegte Polizeimaßnahmen treffen vor allen Dingen die Fans, die ihre Vereine zu Auswärtsspielen begleiten und hier oft rechtswidrigen freiheitsentziehenden Maßnahmen ausgesetzt sind. Nicht zuletzt der Schusswaffeneinsatz durch die Polizei beim Spiel das FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach zeigt mehr als deutlich die Dimension der polizeilichen Eskalationsspirale gegenüber Fußballfans“, so Linda Röttig Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen e. V.

Mit Blick auf die bevorstehende Europameisterschaft im kommenden Jahr in Deutschland fordern die Fanhilfen in ihrem heute getroffenen Beschluss eine eindeutige Kurskorrektur im Umgang mit Fußballfans. Die Eskalation seitens der Polizei durch unsachliche Öffentlichkeitsarbeit muss gestoppt werden. Ebenso muss Polizeigewalt durch unabhängige Ermittlungsstellen entschieden verfolgt und geahndet werde. Die Ampelkoalition hatte den Fans einige Verbesserungen versprochen. Zur Halbzeit der Wahlperiode ist davon bislang noch nichts umgesetzt. Hier fordern die Fanhilfen deutlich mehr Tempo.

„Wir sehen die hohe Anzahl an Polizeieinsätzen gegen Fußballfans höchst kritisch und lehnen kollektive Freiheitsbeschränkungen von Fans entschieden ab. Obwohl Polizeieinsätze bei jedem Fußballspiel stabsmäßig geplant werden, setzt die Polizei bei aufkommenden Problemen auf Gewalt und Eskalation statt Kommunikation und Wahrung der Grundrechte. Fußballfans wurden in den vergangenen Wochen vielfach wie Schwerkriminelle behandelt – oftmals ohne jede Begründung und Rechtsbelehrung festgehalten sowie kontrolliert. Das grenzt an Sippenhaft. Mit Blick auf die bevorstehende Europameisterschaft 2024 in Deutschland scheinen diese Einsätze schon ein erster negativer Vorgeschmack darauf, was Fußballfans bundesweit bis zum Turnierbeginn blüht. Daher fordern wir die politischen Entscheidungsstellen auf, umgehend die von uns genannten ganz konkreten Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte von Fußballfans gegenüber den Sicherheitsorganen zu wahren“, erläutert Linda Röttig abschließen.

Studie belegt: Gewalt von Polizisten gegen Fußballfans ist weitverbreitetes Problem

Gewalt durch Polizeibeamte wird durch Fußballfans immer wieder thematisiert. Der Abschluss des Forschungsprojekts „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol) zeigt deutlich, dass gewalttätige Polizisten keine Einzeltäter sind. Es gibt ein grundsätzliches Problem in der Unterbindung von Gewalt durch Polizisten. Laut Studie sind Fußballfans die am zweistärkste betroffene Gruppe an Menschen, die unter Polizeigewalt leiden.

Linda Röttig vom Dachverband der Fanhilfe e. V. betont dazu: „Seit Jahren kritisieren die Fanhilfen anhaltende Polizeigewalt gegen Fußballfans. Es kommt immer wieder zu groß angelegten Aktionen der Polizei, die längst über Einzelfälle hinausgehen. Dies ist ein grundsätzliches Problem. Die Polizei muss ihr Feindbild ‚Fußballfan‘ endlich systematisch abbauen. Fußballfans sind keine Gewalttäter, sondern wollen ihren Verein unterstützen. Fanrechte sind Bürgerrechte, die auch am Spieltag nicht ausgehebelt werden dürfen.“

Ein erster Schritt zur Verbesserung, der schon im Zuge der letzten Bundestagswahl vom Dachverband der Fanhilfen gefordert wurde, wäre die Einführung der Kennzeichnungspflicht für alle Polizisten. Mit dieser Kennzeichnungspflicht könnten Übergriffe durch Beamte im Dienst präventiv begegnet werden. Außerdem braucht es unabhängige Kontroll- und Ermittlungsinstanzen, die bei Anzeigen gegen die Polizei uneingeschränkt ermitteln können. Polizeieinsätze bei Fußballspielen müssen defensiver geplant werden. In der Ausbildung und in Einsatztaktiken muss Deeskalation durch die Polizei mehr Beachtung finden statt Eskalation und durch falschen Korpsgeist die Schläger in Uniform sogar noch zu schützen.


Zum Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol)

In der aktuellen Studie wurden 3.300 Betroffene von Polizeigewalt befragt sowie 60 Experteninterviews geführt, wobei die meisten Befragten die erheblichen Folgen von Polizeigewalt beschrieben. Körperliche und seelische Verletzungen sowie eine wachsende Abneigung gegen die Polizei und fehlendes Vertrauen in den Staat sind Folgen von Polizeigewalt. Die Betroffenen berichteten von Schlägen, Stößen sowie massiven Einsatz von Reizgas und Wasserwerfer durch die Polizei bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen.

Strafverfahren zu Verdachtsfällen rechtswidriger polizeilicher Gewalt werden zudem zu über 90 Prozent von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Nur in gerade einmal zwei Prozent der Fälle wird Anklage erhoben. Den Forschenden nach bringt ein Großteil der Betroffenen Polizeigewalt erst gar nicht zur Anzeige, weil schlechte Erfolgsaussichten und Sorge vor Repressionen überwiegen. Zur Studie: https://kviapol.uni-frankfurt.de/

Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung – Hoffnung auf Stärkung der Fanrechte

Mit dem heute vorgelegten Entwurf für einen Koalitionsvertrag soll es endlich Klarheit über den zukünftigen Umgang mit Fußballfans geben. Ein erster Blick in den Vertrag verrät, dass die zunehmende Kriminalisierung der vergangenen Jahre zumindest gestoppt werden soll.

“Wir freuen uns, dass sich einige der von uns vor der Wahl erhobenen Forderungen in dem Entwurf des Koalitionsvertrags wiederfinden. So begrüßen wir außerordentlich, dass die von uns seit Langem geforderte Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei umgesetzt werden soll. Dasselbe gilt für die geplante Einsetzung einer bzw. eines unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes beim Deutschen Bundestag. Diese Person darf jedoch kein zahnloser Tiger sein, sondern braucht starke Durchgriffsrechte, um entschieden gegen Machtmissbrauch in der Polizei handeln zu können”, erläutert Danny Graupner vom Dachverband der Fanhilfen e. V.

Mit der neuen Bundesregierung verbindet der Dachverband der Fanhilfen e. V. die Hoffnung, dass die im Vorfeld versprochenen Fortschritte im Bereich der Fan- und Freiheitsrechte auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. Dies gilt zum Beispiel für den Ausschluss von flächendeckender Videoüberwachung sowie für den Einsatz von biometrischer Erfassung. Ebenso für die Gewährleistung des Rechts auf Anonymität – sowohl im öffentlichen Raum, als auch im Internet. Beides Vorhaben, die ebenfalls im Entwurf des Koalitionsvertrags benannt sind.

“Leider konnten sich die künftigen Regierungsparteien nur auf eine Reform der Datei ‘Gewalttäter Sport’ verständigen. Wir bleiben dabei, dass eine Abschaffung dieser Datensammlung der richtigere Weg wäre, weil diese Datei nach unserer Auffassung rechtswidrig ist. Eine Reform des bestehenden Systems ist nicht möglich. Dennoch sehen wir, dass der öffentliche Druck der letzten Jahre bei diesem Thema Wirkung gezeigt hat. Wir werden auch zukünftig genau darauf achten, dass die neue Bundesregierung die hier angekündigten Versprechungen schnell umsetzt und unsere Stimme erheben. Ebenso werden wir die Regierungsparteien an ihren Taten messen und uns in den kommenden Jahren weiter für ein Ende der Kriminalisierung von Fußballfans einsetzen”, so Danny Graupner abschließend.

Hannover, 24. November 2021

Regierungskoalition missachtet EGMR Urteil bei Novellierung des Bundespolizeigesetzes

Der Deutsche Bundestag wird am kommenden Donnerstag das neue Bundespolizeigesetz beschließen. Nicht vorgesehen ist dabei u. a. die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei, obwohl diese in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingefordert wird. Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert dies in aller Deutlichkeit und fordert mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit bei der Polizei.

„Den Polizeien in Deutschland spricht der Gesetzgeber schon jetzt besondere und weitgehende Befugnisse zu. Mit diesen Befugnissen gehen nach unserer Auffassung nicht nur Rechte, sondern vor allem Verantwortung einher. Dem demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung folgend, muss polizeiliche Arbeit jederzeit durch Gerichte kontrollierbar sein. Ohne eine individuelle Kennzeichnungspflicht ist dies nicht möglich. Das gilt insbesondere für sogenannte geschlossene Einheiten, wie sie etwa bei Fußballspielen eingesetzt werden. Bisher gemachte Erfahrungen bei der Kennzeichnung auf Landesebene sind durchweg positiv. Daher muss endlich eine individuelle Kennzeichnung für alle Einheiten der Bundespolizisten eingeführt werden. Die andauernde Missachtung eines entsprechenden Urteiles des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist in diesem Zusammenhang eine Bankrotterklärung für den Rechtsstaat“, erklärt Linda Röttig Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen.

In seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemängelt, „[…] dass der Einsatz behelmter Beamter ohne individuelle Kennzeichnung und die daraus resultierende Unfähigkeit von Augenzeugen und Opfern, die Beamten, die die gerügten Misshandlungen begangen haben sollen, zu identifizieren, geeignet war, die Effektivität der Ermittlungen von Anfang an zu behindern“ (EGMR 2017: 32). Eine Kennzeichnung in Form eines Namensschilds oder durch eine mehrstellige, einprägsame Nummernfolge ist demnach für die persönliche Identifizierung von Polizeibeamten grundlegend. Ebenso hielt das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2019 die Kennzeichnung als Eingriff in das Recht zur informationellen Selbstbestimmung der Beamten für gerechtfertigt. In den meisten Mitgliedsstaaten der EU ist die individuelle Kennzeichnungspflicht längst umgesetzt, ohne dass damit ein Anstieg ungerechtfertigter Anschuldigungen gegen Polizeibeamte verbunden gewesen wäre oder es gar zu persönlichen Übergriffen gekommen ist. Auch sind diesbezüglich bisher keinerlei Erfahrungen aus den Bundesländern mit schon existierender Kennzeichnungspflicht bekannt.

Linda Röttig erläutert abschließend: „Die Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht bei der Bundespolizei würde die Transparenz des Handelns und die Rechtsstaatlichkeit nachhaltig stärken. Ebenso fordern wir die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle an die sich Betroffene von Polizeigewalt wenden können. Ohne die Umsetzung dieser beiden Punkte wird es auch weiterhin keine zeitgemäße und im Interesse der Menschen arbeitende Bundespolizei geben können. Die von den politischen Entscheidungsträgern angekündigte Modernisierung des Bundespolizeigesetzes wäre somit die Tinte auf dem Papier nicht wert. Die persönliche Wahlentscheidung vieler Fans am 26. September wird sicherlich nicht nur durch dieses Thema beeinflusst werden, aber bestimmt auch.“

Weiterführende Literatur:

Bandau, Frank / Bothner, Fabio (2020) Die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte: Ein QCA-basierter Bundesländervergleich, In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft (1), Springer Verlag, Online: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s12286-020-00443-8.pdf

Deutscher Bundestag (2018) Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und -beamten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Ergänzungdes Sachstands WD 3 -3000 -008/11 vom 10. Februar 2011), Wissenschaftliche Dienste – Deutscher Bundestag, Online: https://www.bundestag.de/resource/blob/563722/a85970f9077cc8d213de48ea86de6da2/WD-3-105-18-pdf-data.pdf

Legal Tribune Online – LTO (2019) Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte verfassungsmäßig, Online: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-2c31-33-18-kennzeichnungspflicht-polizei-verfassungsgemaess/

Regler, Andreas (2016). Die Kennzeichnungspflicht geschlossener Polizeieinheiten. Eine Analyse der Situation in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der parteipolitischen Standpunkte, In: SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4), S. 49-61, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2016_4_F

Robbe, Patrizia (2011) Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und -beamten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Wissenschaftliche Dienste – Deutscher Bundestag, Online: https://www.bundestag.de/resource/blob/191806/74ebec119bb90fdcf3cd9acf18a3118b/kennzeichnungspflicht_polizei-data.pdf