Mit dem heute vorgelegten Entwurf für einen Koalitionsvertrag soll es endlich Klarheit über den zukünftigen Umgang mit Fußballfans geben. Ein erster Blick in den Vertrag verrät, dass die zunehmende Kriminalisierung der vergangenen Jahre zumindest gestoppt werden soll.
“Wir freuen uns, dass sich einige der von uns vor der Wahl erhobenen Forderungen in dem Entwurf des Koalitionsvertrags wiederfinden. So begrüßen wir außerordentlich, dass die von uns seit Langem geforderte Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei umgesetzt werden soll. Dasselbe gilt für die geplante Einsetzung einer bzw. eines unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes beim Deutschen Bundestag. Diese Person darf jedoch kein zahnloser Tiger sein, sondern braucht starke Durchgriffsrechte, um entschieden gegen Machtmissbrauch in der Polizei handeln zu können”, erläutert Danny Graupner vom Dachverband der Fanhilfen e. V.
Mit der neuen Bundesregierung verbindet der Dachverband der Fanhilfen e. V. die Hoffnung, dass die im Vorfeld versprochenen Fortschritte im Bereich der Fan- und Freiheitsrechte auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. Dies gilt zum Beispiel für den Ausschluss von flächendeckender Videoüberwachung sowie für den Einsatz von biometrischer Erfassung. Ebenso für die Gewährleistung des Rechts auf Anonymität – sowohl im öffentlichen Raum, als auch im Internet. Beides Vorhaben, die ebenfalls im Entwurf des Koalitionsvertrags benannt sind.
“Leider konnten sich die künftigen Regierungsparteien nur auf eine Reform der Datei ‘Gewalttäter Sport’ verständigen. Wir bleiben dabei, dass eine Abschaffung dieser Datensammlung der richtigere Weg wäre, weil diese Datei nach unserer Auffassung rechtswidrig ist. Eine Reform des bestehenden Systems ist nicht möglich. Dennoch sehen wir, dass der öffentliche Druck der letzten Jahre bei diesem Thema Wirkung gezeigt hat. Wir werden auch zukünftig genau darauf achten, dass die neue Bundesregierung die hier angekündigten Versprechungen schnell umsetzt und unsere Stimme erheben. Ebenso werden wir die Regierungsparteien an ihren Taten messen und uns in den kommenden Jahren weiter für ein Ende der Kriminalisierung von Fußballfans einsetzen”, so Danny Graupner abschließend.
Hannover, 24. November 2021
Regierungskoalition missachtet EGMR Urteil bei Novellierung des Bundespolizeigesetzes
Der Deutsche Bundestag wird am kommenden Donnerstag das neue Bundespolizeigesetz beschließen. Nicht vorgesehen ist dabei u. a. die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei, obwohl diese in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingefordert wird. Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert dies in aller Deutlichkeit und fordert mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit bei der Polizei.
„Den Polizeien in Deutschland spricht der Gesetzgeber schon jetzt besondere und weitgehende Befugnisse zu. Mit diesen Befugnissen gehen nach unserer Auffassung nicht nur Rechte, sondern vor allem Verantwortung einher. Dem demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung folgend, muss polizeiliche Arbeit jederzeit durch Gerichte kontrollierbar sein. Ohne eine individuelle Kennzeichnungspflicht ist dies nicht möglich. Das gilt insbesondere für sogenannte geschlossene Einheiten, wie sie etwa bei Fußballspielen eingesetzt werden. Bisher gemachte Erfahrungen bei der Kennzeichnung auf Landesebene sind durchweg positiv. Daher muss endlich eine individuelle Kennzeichnung für alle Einheiten der Bundespolizisten eingeführt werden. Die andauernde Missachtung eines entsprechenden Urteiles des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist in diesem Zusammenhang eine Bankrotterklärung für den Rechtsstaat“, erklärt Linda Röttig Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen.
In seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemängelt, „[…] dass der Einsatz behelmter Beamter ohne individuelle Kennzeichnung und die daraus resultierende Unfähigkeit von Augenzeugen und Opfern, die Beamten, die die gerügten Misshandlungen begangen haben sollen, zu identifizieren, geeignet war, die Effektivität der Ermittlungen von Anfang an zu behindern“ (EGMR 2017: 32). Eine Kennzeichnung in Form eines Namensschilds oder durch eine mehrstellige, einprägsame Nummernfolge ist demnach für die persönliche Identifizierung von Polizeibeamten grundlegend. Ebenso hielt das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2019 die Kennzeichnung als Eingriff in das Recht zur informationellen Selbstbestimmung der Beamten für gerechtfertigt. In den meisten Mitgliedsstaaten der EU ist die individuelle Kennzeichnungspflicht längst umgesetzt, ohne dass damit ein Anstieg ungerechtfertigter Anschuldigungen gegen Polizeibeamte verbunden gewesen wäre oder es gar zu persönlichen Übergriffen gekommen ist. Auch sind diesbezüglich bisher keinerlei Erfahrungen aus den Bundesländern mit schon existierender Kennzeichnungspflicht bekannt.
Linda Röttig erläutert abschließend: „Die Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht bei der Bundespolizei würde die Transparenz des Handelns und die Rechtsstaatlichkeit nachhaltig stärken. Ebenso fordern wir die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle an die sich Betroffene von Polizeigewalt wenden können. Ohne die Umsetzung dieser beiden Punkte wird es auch weiterhin keine zeitgemäße und im Interesse der Menschen arbeitende Bundespolizei geben können. Die von den politischen Entscheidungsträgern angekündigte Modernisierung des Bundespolizeigesetzes wäre somit die Tinte auf dem Papier nicht wert. Die persönliche Wahlentscheidung vieler Fans am 26. September wird sicherlich nicht nur durch dieses Thema beeinflusst werden, aber bestimmt auch.“
Weiterführende Literatur:
Bandau, Frank / Bothner, Fabio (2020) Die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte: Ein QCA-basierter Bundesländervergleich, In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft (1), Springer Verlag, Online: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s12286-020-00443-8.pdf
Regler, Andreas (2016). Die Kennzeichnungspflicht geschlossener Polizeieinheiten. Eine Analyse der Situation in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der parteipolitischen Standpunkte, In: SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4), S. 49-61, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2016_4_F