Vorverurteilung schon im Namen – Die Datei “Gewalttäter Sport”

Die schon im Jahr 1991 auf der Innenministerkonferenz beschlossene und 1994 eingeführte Datei “Gewalttäter Sport” ist nach § 29 Abs. 1 bis 5 BKA-Gesetz BKAG1 eine Verbunddatei. In ihr werden die gespeicherten Daten zentral beim Bundeskriminalamt erfasst und können durch die jeweiligen Polizeibehörden der Länder eingegeben sowie abgerufen werden2.

Dem polizeilichen Eigenverständnis nach, versetzt die „Datei ‘Gewalttäter Sport’ […] die Polizei bundesweit in die Lage, zielgerichtet polizeiliche Maßnahmen zu treffen und dabei zwischen Störern und Nichtstörern zu unterscheiden.“3. Ziel ist es gewaltsame Auseinandersetzungen bei Sportgroßveranstaltungen zu verhindern oder ggf. aufzuklären4. Zu diesem Zwecke nehmen die Polizeien für sich in Anspruch, personenbezogene Daten zu speichern. Die Speicherung erfolgt nach dem sogenannten ‚Tatortprinzip‘. D. h. die personenbezogenen Daten werden gemäß der Errichtungsanordnung dort gespeichert, wo sie seitens der jeweiligen Polizeibehörde festgestellt wurden. Sie umfassen „Angaben wie Name, Geschlecht, Geburtsdatum und -ort, aber auch Lichtbilder und Personenbeschreibungen“5. Darüber hinaus existieren Freitextfelder für Sondervermerke und die Möglichkeit einer ‚kriminologischen Kurzbeschreibung‘6.

Eine Speicherung ist bei Verdacht zahlreicher Delikte möglich – siehe Aufzählung, sofern diese im Zusammenhang von Sportgroßveranstaltungen geschehen. Das heißt neben dem Stadion und dem direkten Stadionumfeld, werden auch die An- und Abreisewege sowie andere Treffpunkte von Fans gezählt7.

Delikte:

• Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB)
• Gefährliche Eingriffe in den Verkehr (§ 315 ff. StGB)
• Störung öffentlicher Betriebe (§ 316b StGB)
• Nötigung (§ 240 StGB)
• Verstöße gegen das Waffengesetz
• Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz
• Landfriedensbruch (§§ 125 ff. StGB)
• Hausfriedensbruch (§§ 123, 124 StGB)
• Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB
• Raub- und Diebstahlsdelikte (§§ 242 ff. StGB)
• Missbrauch von Notrufeinrichtungen (§ 145 StGB)
• Handlungen nach § 27 Versammlungsgesetz
• Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB)
• Volksverhetzung (§ 130 StGB)
• Beleidigung (§ 185 StGB)
• Bedrohung (§ 241 StGB)
Neben dem bloßen Verdacht genannter Tatbestände, reichen allerdings auch schon
• Eine Personalienfeststellung
• Ein Platzverweis
• Oder eine Ingewahrsamnahme

Diese Dinge können als Begründung herangezogen werden, um in der ‚Datei Gewalttäter Sport‘ erfasst zu werden. Die Speicherung selbst „unterliegt [hier] einem polizeilichen Beurteilungsspielraum“8 und ist für eine maximale Dauer von fünf Jahren vorgesehen. In einem Großteil der Fälle wird diese nicht unterschritten9. Mit Beendigung der Frist erfolgt eine automatische Löschung, sofern keine neuen ‚Erkenntnisse‘ eine Verlängerung ‚begründen‘. Seitens der Polizeibehörden erfolgt keine proaktive Mitteilung an die Betroffenen über die Speicherung selbst. Die einzige Ausnahme bildet hier das Bundesland Bremen im Sinne kriminalpräventiver Gesichtspunkte.

Die jetzige Regelung basiert auf einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2010, im welchem das Gericht „die Datenerhebung und -speicherung […] als unzulässig“ bis zu diesem Zeitpunkt festgestellt hat. Die während des Verfahrensverlaufs auf Initiative des Bundesministeriums des Inneren, erlassene BKADV bilde aber „eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Datei Gewalttäter Sport“. Gleichwohl sind die möglichen Konsequenzen für Betroffene weitgehend. Sie umfassen sogenannte ‚Gefährderansprachen‘, ‚Meldeauflagen‘, ‚Bereichsbetretungsverbote’, aber auch ‚Beförderungsausschlüsse‘10 und reichen bis hin zu konkreten Ausreisebeschränkungen.

Kritik

Die Datei ‘Gewalttäter Sport‘ ist seit ihrem über fünfundzwanzigjährigen Bestehen immer ein politisches Instrument gewesen. Sie wirkt für die Betroffenen stigmatisierend und vermittelt alleine über ihren Namen den Eindruck, „dass es sich bei den in ihr gespeicherten Personen um Tatverdächtige handelt, die bereits Gewalttaten im Zusammenhang mit Sportereignissen begangen haben“11. Dem ist wie dargestellt, nicht so! Es ist weder eine konkrete Gewalttat, noch ein wirklicher Tatverdacht vonnöten.

Denn der polizeiliche Beurteilungsspielraum und die zahlreichen potentiellen Möglichkeiten der Erfassung führen zwangsläufig zu einer geringen Aussagekraft. Doch die vermeintliche Deliquenz des Einzelnen ist ausreichend, um als ‚Gewalttäter‘ polizeilich erfasst zu werden. Sogenannte Antragsdelikte wie Hausfriedensbruch oder Beleidigung, die der Gesetzgeber im absoluten Bagatellbereich ansiedelt und nur durch aktive Initiative der Betroffenen verfolgt werden, gelten im Bereich Sport für die Polizei in ihrer Datenerhebung als so gravierend, dass derer beschuldigte Personen als “Gewalttäter” eingestuft werden. Die Erfassung selbst ist niedrigschwellig und zugleich für die Betroffenen in ihrer Auswirkung immens. Nach aktuellem Stand12 sind 7.841 Personen in der Datei gespeichert. Davon alleine über 1600 aufgrund einer Personalienfeststellung. Sie alle sind Teil einer rechtlichen und tatsächlichen Grauzone13 – in der man schnell drin ist, aber umso schwerer wieder heraus kommt – sofern die Betroffenen überhaupt in Kenntnis ihrer Speicherung sind. Die Datei ist also nicht einmal als präventiv polizeiliches Mittel ihren Namen wert.

Eine Datei, die derart massiv in das Leben der Betroffenen eingreift, den Alltag aufgrund polizeilicher Meldeauflagen und Betretungsverbote beschneidet, sowie die Reisefreiheit beschränkt und völlig willkürliche Speicherungen zulässt, gehört mit sofortiger Wirkung abgeschafft. Wir als Dachverband der Fanhilfen fordern daher eine umgehende Beendigung dieser stigmatisierenden Praxis für Fußballfans – Auflösung der ‚Datei Gewalttäter Sport‘, jetzt! – Proaktive in Kenntnissetzung der Betroffenen und die Übermittlung der bisher über sie gespeicherten Daten!